Kein Sterben an den EU-Außengrenzen

In dieser Woche gab es aus Anlass der Situation an der griechischen Grenze zwei Kundgebungen auf dem Coburger Marktplatz, beide organisiert vom Verein Alternative Kultur e.V. Tausende Schutzsuchende werden dort von türkischer Seite als Druckmittel benutzt, von griechischen Sicherheitskräften mit Tränengas und Blendgranaten beschossen. Die Verteidigung der EU-Außengrenzen rechtfertigt offenbar jedes Mittel, selbst die Aussetzung des Asylrechts durch Griechenland.

In meinem Redebeitrag zur ersten Kundgebung am Dienstag, 03. März, sprach ich darüber, dass ein Europa, das seine Werte auf diese Weise verteidigt oder glaubt, verteidigen zu müssen, nicht mehr das Europa ist, auf das ich stolz war und für das ich im Europawahlkampf letztes Jahr so leidenschaftlich eingetreten bin. Außerdem habe ich das Argument aufgegriffen, das häufig genannt wird: „Wir können nicht alle aufnehmen“, weil ich nicht verstehen kann, warum daraus in angeblicher Logik folgt, dass wir niemanden aufnehmen. Die Forderung aller Redner*innen: Coburg zum Sicheren Hafen machen, wie im Grünen Stadtratsantrag vom September 2019 gefordert. Denn jeder Mensch, den wir retten, ist ein Mensch, der nicht stirbt.

In den Tagen danach stellte die Grüne Bundestagsfraktion einen Antrag zur Aufnahme von 5.000 der am meisten Bedürftigen von der griechischen Insel Lesbos in Deutschland. Immerhin haben sich knapp 150 Kommunen in Deutschland schon zum Sicheren Hafen und damit bereit erklärt, über die gesetzlich vorgesehenen Quoten hinaus Geflüchtete aufzunehmen. Dieser Antrag wurde mit bedrückend großer Mehrheit von CDU, CSU, SPD und AfD abgelehnt.

In meinem Redebeitrag zur zweiten Kundgebung am Samstag, 07. März, griff ich einige der Argumente auf, die im Zusammenhang mit diesem Bundestagsantrag, aber auch in Facebook geäußert wurden:

  • „Wir brauchen eine europäische Lösung“
    Das ist grundsätzlich richtig. Und wünschenswert. Allerdings haben die vergangenen fünf Jahre gezeigt, dass eine europäische Lösung offenbar nicht erreicht werden kann. Woher soll sie demnach in den kommenden Wochen und Monaten kommen? Ich finde, es sollten diejenigen Länder, Bundesländer und Kommunen vorangehen, die eine Aufnahme von Geflüchteten für richtig und machbar halten und Kontingente von Geflüchteten aufnehmen. Wenn etwas richtig ist (und ich halte es für richtig, Schutzbedürftigen Schutz zu geben), dann bleibt es auch dann richtig, wenn nicht alle mitmachen.
  • „Wenn wir die reinlassen, kommen nur noch mehr“
    Hierin zeigt sich ein extrem zynischer Gedanke, nämlich die Einsicht, dass die Menschen, die auf der Flucht sind, gute Gründe haben, zu uns kommen zu wollen: Dort, woher sie kommen, ist ein Überleben nicht möglich – Europa dagegen ist (bisher) ein Raum der Menschenrechte, wo Schutz möglich ist. Und Europa, auch Deutschland, trägt nicht wenig dazu bei, dass es Fluchtgründe gibt: durch wirtschaftliche Ausbeutung, durch Waffenexporte, durch Wegschauen bei bewaffneten Konflikten und lokalen Kriegen. Mit diesem Argument drücken wir uns vor der Verantwortung.
  • „Wenn wir die jetzt reinlassen, wird die AfD noch stärker“
    Hier gilt das Gleiche wir für das gewaltsame Vorgehen gegen die Geflüchteten an der griechischen Grenze, das wir als Verteidigung bezeichnen: Wenn unsere Werte nur auf diese Weise verteidigt werden können, sind sie es nicht wert, verteidigt zu werden. Wenn wir aufhören, für Humanität, Menschenrechte und unantastbare Menschenwürde (Grundgesetz, Artikel 1) einzutreten, aus Angst, dass dann Hass, Rassismus und Menschenfeindlichkeit gewinnen – dann haben diese schon gewonnen. Denn dann sagen wir bereits Ja zu einem Klima, in dem Hass und Menschenfeindlichkeit regieren.

Die logische Folgerung aus meiner Sicht: Coburg muss sich bereit erklären, ein Kontingent an Geflüchteten aufzunehmen, und dazu nachdrücklich auf die Staats- und Bundesregierung einwirken. Denn das Sterben an den EU-Außengrenzen geschieht aktuell auch in unserem Namen.